Blick ins Buch - "Die Bücherjägerin" von Elisabeth Beer - Die Liebe zum geschriebenen Wort, der behutsame Umgang mit Gefühlen und eine besondere Protagonistin

Blick ins Buch – „Die Bücherjägerin“ von Elisabeth Beer – Die Liebe zum geschriebenen Wort, der behutsame Umgang mit Gefühlen und eine besondere Protagonistin

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Hallo an alle buchliebenden Menschen da draußen,

immer wieder am Wochenende haue ich in die Tasten, um einige Worte zu einer von mir gelesenen Geschichte zu finden. Heute soll es um ein Buch gehen, dass diese Woche erst erschienen ist. Das Glück war mit mir, dass das Buch bereits einige Zeit vorher bei mir einzog, Dank des Dumont-Bloggertreffens auf der Leipziger Buchmesse. Bereits vor Ort beschlossen Jennifer von „Lesen in Leipzig“ und ich, noch vor dem offiziellen Erscheinungstermin, einen Buddyread zu starten. So lasen wir in den letzten Wochen gemeinsam diesen wundervollen Roman und tauschten uns darüber aus. Ich hoffe, dass Jennifers Begeisterung sich bald auf ihrem Blog widerspiegeln wird, so wie meine es hoffentlich gleich hier tut.

Eine Reise, kein Abenteuer. Sacht und bestimmt.

Die Kölner Restauratorin und Antiquitätenhändlerin Sarah ist eine Person, die andere Menschen eher meidet und seit dem Tod ihrer Tante Amalia noch zurückgezogener lebt als bisher. Zumindest bis Ben, Bibliothekar der British Library, mit einem bestimmten Anliegen bei ihr klingelt und sie sich kurze Zeit später mit ihren Schildkröten in seinem Auto sitzen sieht. Das Ziel: Finde das verschollene Stück der Tabula Peutingeriana. Damit beginnt eine Reise nach Frankreich und Großbritannien, die mehr als eine Suche beinhaltet.

Kaum zu glauben, dass ich hier von einem Debütroman spreche. Kaum zu glauben, dass ich vermutlich nicht in Worte fassen kann, wie gelungen diese Geschichte für mich ist. Kaum zu glauben, wie viel Inhalt in diesen ca. 400 Seiten stecken ohne actionreich und dramatisch zu sein. Denn es schwingt trotz der klar erkennbaren Emotionen fast immer eine gewisse Ruhe und Objektivität mit.

Woran das liegt? Vorrangig an der Ich-Perspektive der Protagonistin, die ich in keine Schublade stecken möchte. Sie ist für mich besonders. Ihr Charakter bestimmt die Erzählweise, ihre Sicht der Dinge bewegt die Handlung und erklärt die Hintergründe. Mein erster Eindruck war, dass sie hart, ehrlich, fokussiert, ungestört und objektiv durch den Alltag geht. Sie braucht die Kontrolle über ihr Leben, um zurecht zu kommen. Sie ist niemand, der emotional reagiert, mit den Gefühlen anderer Menschen nicht umgehen kann und oft darlegt, dass sie Menschen schlecht lesen bzw. einschätzen kann. Nur wenigen Menschen hat sie bisher Zutritt zu ihrem Leben gewährt und das spürte ich zu Beginn sehr, schon allein, weil ihr Name erst spät ins Spiel kam. Denn wann nennt man denn einen Namen? Im Normalfall bei zwischenmenschlichen Kontakten. Das klingt jetzt danach, als wäre Sarah unnahbar und unsympathisch. Für mich war sie das nicht. Zum einen, weil Kleinigkeiten ihre introvertierten Seite meine eigene bestätigten und zum anderen, weil sie mich durch Rückblenden in ihre Vergangenheit mitnahm. Der Mensch wird geprägt durch seine Erfahrungen und Sarah ließ dann tief blicken. Das Gefühl etwas Intimes zu erfahren überkam mich, trotz des eher sachlichen Stils, denn nur unterschwellig schwangen Nuancen an Liebe, Traurigkeit, Sehnsucht oder Wut mit.

Umso mehr Ihre Reise voranschritt, umso näher kamen wir uns. Ach, was sag ich da? Nicht nur wir uns, Sarah kam auch Ben und anderen Personen näher als sie sich vermutlich je erträumt hätte. Schließlich blieb ihr auch nichts anderes übrig als sich zu öffnen. Das Versteck spielen in der Kölner Villa war in dem Moment vorbei als sie mit den Schildkröten Bonny und Clyde in Bens Auto stieg. Jede Station der Suche nach der Tabula Peutingeriana brachte Sarah nicht nur der Karte näher, sondern auch den Antworten zu Fragen, die sie seit dem Tod ihrer geliebten Tante verfolgen und ich sage es euch, die Geschichte des Paradiesvogels Amalia ist genauso interessant wie Sarahs. Die Autorin weist in Puncto Zwischenmenschliches ein Fingerspitzengefühl auf, wie ich es selten gesehen habe. Damit schließe ich das Miteinander von Sarah und Ben ein. Im Buddyread stellte sich einige Zeit die Frage, ob sich zwischen den beiden etwas entwickelt. Natürlich liegt das nahe, mit einigen für mich zum Grinsen bringenden Indizien, allerdings stellte sich der 100%ige Rückschluss erst spät bei mir ein.

Das Buch lebt weiterhin von Diversität, Kritik gegenüber überholten Gesellschafts- und Familienbildern, Homophobie oder Rassismus ohne auf Krawall gebürstet zu sein. Elisabeth Beer nimmt Sarahs, Bens und auch Amalias Ansichten auf, die hinterfragen, logisch denken, und im Endeffekt die Antworten als simple Statements setzen. Das ist beachtlich und erleuchtete mich immer wieder. Wie einfach könnte es sein, wenn die Menschen offener wären und sich von alten Zwängen lösen würden. By The Way, es wird mit Absicht im Text in unterschiedlichen Formen gegendert. Das überhaupt in Büchern gegendert wird, empfinde ich noch als eine Seltenheit. Ich hoffe, das ändert sich in Zukunft.

Damit ich mich nicht in Sarahs Kopf verstrickte, verfolgte ich natürlich noch eine Handlung, eine Reise, ja eine Schatzsuche nach dem verschollenen letzten Teil der Tabula Peutingeriana! Ich hatte keine Ahnung von dieser Karte, die segmentartig auf der Innenseite der Buchdeckel dargestellt und die Buchabschnitte danach aufgeteilt sind. Glücklicherweise ließ Elisabeth Beer die Unwissenden nicht im Stich. Ich erhielt im Verlauf genügend Wissen zu dem guten Stück, um die Wichtigkeit einordnen zu können, genauso wie zum Restaurationshandwerk und dem Beruf der Bücherjägerin (mit einem Augenzwinkern versehen). Das machte Spaß, die Leidenschaft, die schon in jungen Jahren das Licht der Welt erblickte, zu erkennen. Der Geruch von Buchseiten, die durchblättert werden, völlig zerlesene Lieblingsbücher, das Sammeln bestimmter Ausgaben, die Berge an gelesenen und ungelesenen Büchern. Die Atmosphäre musste ich einfach einsaugen. Ein Buch für Büchernarren, also für mich. Ich versank in den Bücherzimmern anderer, in Dialogen zu Buchvorlieben, in Buchverweise, besuchte historische Orte mit großen Bibliotheken oder magisch angehauchten Charme, die in Büchern spielen könnten. Ich spreche aber von meist realen Orten in Frankreich oder Großbritannien, die ich teilweise googelte, um mir ein genaueres Bild machen zu können, denn manchmal fehlte mir ein Quäntchen davon.

Als ich die Buchdeckel schloss, habe ich mich ein wenig seelig gefühlt. Der Show Down und Schluss realistisch und erkenntnisreich, nicht märchenhaft und erfolgreich, aber mit einem Lächeln im Gesicht.

Liebe Grüße Tina (& Leo)

*Das Buch wurde mir kostenfrei als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Meinung bleibt davon unberührt.

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