Guten Abend meine Lieben,
noch 9 Tage bis zum 24. Dezember. Wie schnell die Zeit wieder rast, so schnell, dass ich gar keine Zeit habe, mich an die Adventszeit zu gewöhnen oder es mehr zu genießen. Doch jammern möchte ich nicht, denn es gab einige weihnachtliche Momente bis jetzt. Vom Plätzchen backen bis zum Weihnachtsmarktbesuch. Und noch sind ein paar Tage Zeit. Ich freue mich jedenfalls auf ein paar freie Tage und Lesezeit.
Statt Weihnachtslektüre gibts heute von mir eine düstere, aber sehr bekannte Geschichte. Nämlich die von „Dracula“. Das Buch stand in den letzten 2 Monaten im Zeichen der #readingclassics – Lesetruppe. Als das Los auf Stoker fiel, waren alle furchtbar gespannt. Die Ernüchterung folgte bei vielen jedoch recht schnell.
Vermutlich standen mir zu hohe Erwartungen und das Wissen um Adaptionen im Weg
„Dracula“ – das Urgestein eines Vampyr-Romans. In dieser Geschichte wurde das Wissen um dem Mythos einer übernatürlichen Kreatur zusammengetragen, das bis heute in zig verschiedenen Adaptionen Raum fand. Jeder weiß schließlich, dass der Vampir nachts unterwegs ist, tagsüber im Sarg schläft, keine Sonne verträgt und sich von menschlichen Blut ernährt. Soweit, so gut. Die meisten Vampirfilme der heutigen Zeit bedienen sich dieser Beschreibung, mal mehr, mal weniger gut. Das gilt genauso für Bücher. Umso schwerer war es für mich unvoreingenommen oder mit wenigen Erwartungen an diesen Klassiker heran zu gehen. Irgendwas muss das Buch schließlich haben, wenn es so viele Nachahmer gefunden hat. Meine Erwartungen: Düster, spannend, abwechslungsreich. Was ich bekam? Was anderes.
Die Geschichte über Dracula mit wenig Dracula
Ich wusste ehrlich gesagt nicht, dass es sich um einen Briefroman handelt. Ich dachte auch, dass ich Dracula mein Ohr leihen würde, doch seine Perspektive wird komplett außen vor gelassen. Die Geschichte wird durch die Tagebücher/Briefe/Berichte mehrerer Personen aus der Ich-Perspektive erzählt. Das machte für mich Sinn als die Personen nicht den gleichen Handlungsstrang teilten, aber wenn alle zusammen die gleiche Situation erlebten, empfand ich es als schwierig, die Personen auseinander zu halten – glücklicherweise stand über jeden Abschnitt der Name des Charakters.
Zu Beginn hatte ich trotz arg romantischer Beschreibungen der Landschaft und Menschen recht viel Spaß dem Protagonisten Jonathan Harker auf Schloss Dracula zu folgen. Ich konnte mir das Schloss zwar nicht immer bis ins Detail vorstellen, aber dafür Dracula umso besser. Ich bin lustigerweise bezüglich Draculas Äußerem an mancher Stelle vom Gauben abgefallen. Es gibt Dinge, die werden einfach in keiner Adaption gezeigt, aber nun gut, das solltet ihr selbst lesen.
Im weiteren Verlauf wechseln Setting und Protagonisten. Ich war von jetzt auf gleich von Transsilvanien nach Großbritannien befördert wurden. Der Cut war zu hart für meinen Geschmack und die neuen Stimmen des Buches nervten mich ziemlich. Bram Stoker lebte in einer Zeit, in der Frauen zum Heiraten und nett aussehen gut waren. Der Mann hatte das Sagen. Das stieß mir an vielen Stellen übel auf. Natürlich ist mir bewusst, dass ich den zeitlichen Aspekt berücksichtigen sollte. Das mache ich. In der heutigen Literatur wäre das nur ein No Go.
Der Autor versuchte meines Erachtens trotzdem das gesellschaftliche Bild aufzulockern. Zwar unterschwellig, aber es war nicht zu überlesen. Denn in die Beziehung der zwei Freundinnen Lucy und Mina hätte ich durchaus mehr hinein interpretieren können. Oder, dass Mina den männlichen Protagonisten mit Rat und Tat zur Seite steht. Sie nimmt Einfluss, ist intelligent und ja, irgendwie scheint sie zum Watson zu mutieren, wenn ich Van Helsing zum Sherlock erkläre.
Die Gentlemen des Buches. Vier an der Zahl: Jonathan Harker (Minas späterer Ehemann), Van Helsing (mehr Wissenschaftler als Vampirjäger), Arthur (Verlobter von Minas Freundin Lucy) und Quincey Morris (der einfach irgendwann da war). Die Herren waren nun wirklich mehr am Überlegen als am Handeln. Selbst mit Mina und dem Wissen, dass Dracula nach Großbritannien geschippert ist, übrigens hatte seine Ankunft „Fluch der Karibik“ – Vibes, ging es nicht vorwärts. Viele Dialoge und Beschreibungen ziehen sich von Seite zu Seite, selbst der Wechsel der Perspektiven machte es nicht besser. Und Dracula? Ja, von dem fehlte die meiste Zeit jede Spur. Es war mühselig, ebenso wie die sehr förmliche Aussprache. Ich bin auch der Meinung, dass einige Handlungsstränge oder Beobachtungen überflüssig sind. Die vermeintlich wissenschaftlichen Gespräche, wie man dem Untoten mit seinem Kinderhirn Herr werde, bleiben mir bis heute teilweise ein Rätsel. Den Charakteren bin ich dafür sehr nahe gekommen, lernte sie und das Miteinander gut kennen.
Das Ende hatte Potenzial, großes Potenzial. Stellt euch einen Knaller vor, den ihr anzündet und dann geht er nicht los. So fühlte sich das Ende von Dracula an. Und über allem steht der privilegierte weiße Mann. Meine Erwartungen wurden leider nicht erfüllt.
Liebe Grüße Tina (& Leo)
P.S. Es gibt einige Übersetzungen des Buches. Ich selbst habe 2 verschiedene Varianten mitbekommen, da ich gehört und gelesen habe. Wir waren uns innerhalb der Gruppe einig, dass eine aktuelle Übersetzung das Leseerlebnis verbessern könnte.
Eine (gelungene) Neu-Übersetzung kann manchmal wirklich ein kleines Wunder bewirken. Ich durfte dies ja bei „Vom Wind verweht“ feststellen. Im besten Fall wirkt ein Text frischer, weniger verstaubt – vorausgesetzt der Ursprungstext hat die entsprechende Qualität.
Aber ich befürchte, dass selbst eine Neu-Übersetzung mein fehlendes Interesse an den mannigfaltigen Untoten in der Literatur nicht ändern könnte!
Lieben Gruß
Andreas
Also bin ich mit dem Gedanken nicht allein, dass eine aktuelle Übersetzung manchmal Wunder wirken kann.
Dir sei die Abstinenz zu dem Untoten aller Untoten gegönnt. Ich würde es auch nicht noch einmal lesen wollen 😉
Liebe Grüße
Tina