Hallöchen bookish People,
nachdem ich einige Stunden mit der Entscheidung gerungen habe, ob ich nun eine weitere Outdoor-Hardshelljacke oder doch mal ne leichte Regenjacke bestelle, sitze ich nun am Blog. Zum runter kommen. Zum produktiv vorkommen. Es ist im übrigen eine leichte Regenjacke geworden. Und den Beitrag heute schiebe ich schon 2 Monate vor mir her. Zum einen überlegte ich lange, ob ich nun einen Beitrag verfasse oder nicht, weil meine Gedanken zu der Dilogie um Nikolai etwas gespalten sind. Zum anderen wusste ich, dass ich für diesen Beitrag wirklich Zeit brauche, da ich nicht weiß, wie das hier ausgehen wird. Nach wie vor weiß ich es nicht. Selbst nachdem 2 Monate vergangen sind seit ich die Bücher gelesen habe. Wir schauen einfach, was sich in den nächsten Minuten, wahrscheinlich Stunden entwickeln wird…Auf jeden Fall keine normale Rezension, sondern ein paar meiner Gedanken.
Meine Zeit im Grishaverse
Die ursprüngliche Grisha-Trilogie wurde Dank dem wunderschönen Knaur-Schuber Ende 2019 von mir verschlungen. Ich mochte die Welt, die Leigh Bardugo erschuf und wollte auch weiterlesen, aber das hat ziemlich gedauert. Tja, und dann kam Netflix um die Ecke mit „Shadow & Bone“ – wooaahhh – mit dem Hinweis, dass nicht nur die Grisha die Story einnehmen, sondern auch die Krähen. Also ging es vor Serienstart im Mai (wenn ich mich recht erinnere) in den Buddyread mit Sandra von „Piglet and her Books“. Ich hatte keinen Schimmer, was mich erwartete, stellte mir die Krähen und das neue Setting Ketterdam ziemlich komplex und schwierig vor. Komplex ist es definitiv, doch ultimativ genial. Nach wie vor ist die Dilogie ein Jahres-Highlight. Weil das so schön war, dachten wir uns, wir schießen „King of Scars“ und das frisch erschienene „Rule of Wolves“ gleich hinterher. 2 Reihen mit einer Klappe. Uns fehlt nur noch „Die Sprache der Dornen“. Allerdings empfinde ich das nicht als sooo relevant, weil es Märchen und Geschichten aus dem Grishaverse sind. Was jedenfalls bei den Krähen in purer Euphorie endete, verflog in Ravka. Mir fiel der Kulturwechsel schwer, mich wieder in Ravka einzufinden, in politische Querelen, mehrere schwierige Lovestories, neue Charaktere, alte Charaktere, Entwicklungen, die wichtig, aber auch lang gezogen waren, der Glaube, der hier eine riesen Rolle spielte und ganz, ganz viele Probleme, die alle irgendwie gelöst werden mussten.
Vorab sei gesagt: Die Reihe zu lesen ohne die Grisha- und Krähen-Reihe zu kennen macht absolut keinen Sinn. Die Autorin baut auf bisherige Gegebenheiten auf. Deswegen weise ich daraufhin, dass ich mit einigen Punkten die vorherigen Bücher spoilern könnte. Also überlegt euch gut, den Beitrag zu lesen, wenn ihr keine Spoiler abkönnt.
Ein Wiedersehen und Kennenlernen
Mein Eindruck zum Marketing und Klappentext stellte klar den Lieblingsfreibeuter und zweiten Prinzen von Ravka Nikolai Lantsov in den Mittelpunkt. Denn ich kenne niemanden, der Nikolai nicht bereits in Grisha verfallen ist. Gewitzt, charismatisch, mit Galgenhumor, Stärke, Durchtriebenheit und leidenschaftlichen Interessen versehen, verkörpert er einen der faszinierendsten Charaktere im Grishaverse. Nun sollte seine Geschichte weitergehen, 3 Jahre nach dem die Schattenflur in sich zusammen gefallen ist, 3 Jahre nach dem er zu etwas anderen geworden war und es nach wie vor nicht los geworden ist. Nicht nur das. Er ist Zar eines Reiches, was von jeder Grenze aus mehr Feind als Freund sieht und von der leeren Staatskasse will man gar nicht erst reden. Es klingt jetzt so als könnte man in den 2 Büchern lediglich seine Geschichte erzählen und das reicht. Würde es sicherlich auch, nur Leigh Bardugo entwickelte in den letzten Jahren Spaß daran mehrere Perspektiven einzubinden und die Lesenden oftmals mit dem einsteigenden Charakter einer Geschichte zu veräppeln. Wie? Das müsst ihr selbst raus kriegen. Wer es kennt, für den ist es fast ein Running Gag.
Jedenfalls erfüllte die Autorin weitere Fanwünsche, in dem sie lieb gewonnene Charaktere erneut einbindet. Vor allem Nina. Die rüstige, direkte, hochemotionale Grisha Nina, deren Trauer und Liebe ich bis ins Mark spürte. Mit ihr rechnete ich gar nicht. Die Überraschung war groß. Ich sehe meine Notizen: „Nina? Wo ist sie? Was macht sie mit dem Fisch? Hä?“. Sie bekam ihre ganz, ganz eigene, fast unabhängige, aber wirklich nur fast, Story in der Story. Mit allen Auf und Abs, die eine Achterbahn zur Verfügung stellen konnte. Ich erfuhr, wo es sie nach den Krähen hinverschlagen hat, wie sie mit der Trauer um die Liebe ihres Leben umgeht und ihrer neuen, anderen Macht. Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Ninas Gabe ist einfach einzigartig. Ganz putzig fand ich ihre Sidekicks, die sie aus Ravka bekam. Ein Paar, das in ihrer Art gegensätzlicher nicht sein könnte. Beide Grisha. Er bekannt als Junge, der den Bürgerkrieg mit Alina überlebte, sie, mir völlig neu und ich mochte sie auf Anhieb.
Ich begrüßte allerhand alte Gesichter aus den Krähen und Grisha. Glücklicherweise musste ich nie ewig darüber grübeln, wer das denn nochmal war, denn Rückblenden sind wie ein Wink mit dem Zaunsphal eingearbeitet, manchmal sogar Mehrere, damit auf alle Fälle der Groschen fällt. Natürlich blieben mir nicht alle erhalten. Bardugo ist nach wie crass in ihrer Brutalität. Warum sollten Menschen denn mal normal sterben? Ich gebe zu, um gewisse Unmenschen, die andere quälen, weil ihre Vorurteile, ihre Religion oder ihre Machtgier es gebieten, tat es mir nicht leid.
Zoya. Die talentierte kleine Stürmerin aus der Grisha-Reihe, die Alina das Leben zu Beginn zur Hölle machte. Inzwischen ist sie Ravkas oberste Kommandantin. Mitglied im engsten Kreis des Zaren (diese Gruppe ist Gold wert). Pragmatin. Ein sehr harter Kern, dessen weicher Kern kaum zu erreichen ist. Ihre Stahlharte Ausstrahlung passt fast nicht zu ihrer Uneigennützigkeit. Das sind alles Eigenschaften, aber ihre Geschichte in Worte zu fassen, ja, sie zu fassen, empfinde ich als schwer. Ich konnte sie kennenlernen, ihre verborgene Vergangenheit, die aufzeigt, dass starke Frauen sehr viel bewegen können. Mich störte nur, dass sie das typische Bild vertrat, Schwäche nicht zeigen zu dürfen, um für sich und andere stark zu sein. Meiner Meinung war sie schon viel früher darüber hinaus als es in der Handlung aufgenommen wurde. So wichtig ihre Anwesenheit und ihr Zutun ist, bis zum Schluss wurden nicht alle Siegel ihres Charakters für mich geöffnet. Das ist nicht schlimm, nicht jeder Mensch breitet zum Schluss seine Arme offen aus, trotzdem wurmt es mich etwas, dass Zoya, trotz, dass ich so viel über sie weiß, ein Geheimnis für mich bleibt. Wie eine Heilige.
Allerhand Mythos, Religion und lebendig gewordener Glaube
Ich weiß noch, wie Sandra und ich über die Heiligen der Grisha diskutiert haben. Die Heiligen sind in ihrem früheren Leben nicht nur den Märtyrertod gestorben, ihre Macht scheint göttlich, unerschöpflich und meine Güte, es gibt so viele. Ich sag nur, Alina, die Sonnenkriegerin wurde ja auch schnell zur Heiligen… Ein Headliner der Storyline sind verschiedene Wunder an Gedenkstätten und ich dachte oft, dass die Autorin im übertragenden Sinne bekannte „Wunder“ aus unserer Welt hineinverfrachtet hat. Die Idee war nicht schlecht, gruselig aufgebaut, verknüpft mit einer kleinen Abenteuerreise, genau das Richtige. Doch mir waren es zu viele Legenden, Geschichten, Namen und Schicksale, deren Magie das Monster in Nikolai irgendwie besiegen sollen. Am Höhepunkt überkam mich ein Moment der Ungläubigkeit, denn wie würdest du gucken, wenn Legenden zum Leben erwachen? Der Spannungsaufbau und die Begründung den Ursprung der Schöpferkraft, Historie und Religion mit Nikolais Fluch zu verbinden war toll. Nur so viel Tamtam für im Endeffekt eine Hand voll Heilige?
Über die Grenzen hinaus
Ich liebe die Karte des Grishaverse in den Büchern. Ich finde es merkwürdig, dass die Ausprägungen in den Büchern unterschiedlich sind, nicht nur in den Beschriftungen, sondern auch in der Übersetzung. Was in der Grisha-Reihe und bei den Krähen noch in deutsch abgedruckt ist, bekam bei „King of Scars“ und „Rules of Wolves“ die englische Variante. Im Endeffekt Wurscht, nur ist es mir aufgefallen. Beim Lesen benötigte ich die Karte das ein oder andere Mal, denn unsere verschiedenen Handlungsstränge führen uns sowohl in Ravka an verschiedene schon bekannte und unbekannte Orte, als auch in Fjerda. Jep, meine Lieben, ab ins Land der Drüskelle, der Hexenjäger, die Jagd auf Grisha machen. Das norwegisch, finnisch ähnliche Setting mit seinem militärischen Drill. Das Verhalten gegenüber Gefangenen und Frauen erinnerte an unschöne historische Zeiten und einem alten Weltbild, das keine Möglichkeit zur Diskussion ließ. Mir gefiel, dass dafür offene Charaktere mit Herz einen Platz finden oder sich den Weg dorthin, ja, freiräumen.
Vom Norden ging es tatsächlich in den Süden. Die Erwartung hatte ich gar nicht, wenn ich ehrlich bin, weil Shu Han bisher sehr stiefmütterlich behandelt wurde. Der Name zeigt jedenfalls schon die kulturelle Richtung einer Dynastie, die im asiatischen Flair wahre Bilder in meinem Kopf zauberte. Vor allem nicht unbedingt sofort durch das Setting, sondern die neuen Protagonisten. Disziplin, Anmut, Tradition, Loyalität, Gewissenhaftigkeit, Kontrolle, Weisheit – Eigenschaften, die grob skizzieren, welches Konzept Bardugo verfolgte. Doch die Autorin wäre nicht die Autorin, wenn sie in das klassische Bild nicht etwas Gewagtes hineinsetzen würde. Das solltet ihr allerdings selbst herausfinden. Große Klasse.
Jede Kultur bringt etwas Einmaliges mit. Nicht nur Magie. Sondern auch Traditionen in Form von Festen, Geschichten, Berufen, Melodien, Mahlzeiten und viele mehre. Beim Lesen fiel ich schnell in den jeweiligen Ort. Es war zum Teil atemberaubend wie die Autorin Dinge beschrieb. Nicht blumig, eher realitätsnah. Orte sind so kalt wie Nadelstiche und nicht so bezaubernd wie eine Schneeflocke auf der Wange. Feste imposant und malerisch, die Kleidung jedoch nicht immer bequem. Einfach durch menschliche Augen betrachtet in all seiner Fülle und nur das, was man wahrnehmen kann – schließlich haben wir keinen 360 Grad – Blick.
Liebe in vielen Facetten
Es kann ja noch so zeitversetzt sein mit Frauen in langen Kleidern, Schiffen, Pferden, Schwertern, mal ne Pistole, Magie, ok, Technik gibts auch, aber irgendwie kommt man im Grishaverse nicht über das 19. Jahrhundert hinaus, oder? Außer in der Liebe, denn die gab es zu jeder Zeit nicht nur in einem Modell. Die Liebe zwischen zwei Menschen, die charakterlich wie Feuer und Wasser erscheinen. Eine Liebe, die nie zueinander finden kann, weil es gesellschaftliche und politische Zwänge es nicht zulassen. Eine Liebe, die aus Vernunft geschieht bzw. erst dazu wird. Eine Liebe, die auf Lügen basiert. Eine Liebe, die durch Verlust geprägt wird. Eine Liebe, in der es darum geht die Person zu lieben und nicht welches Geschlecht man liebt. Das feiere ich so sehr. Ich wäre nie darauf gekommen, dass eine Gabe dazu genutzt wird, um den Lesenden das zu zeigen, dass es allein darum geht. Ich habe noch keine Fantasyreihe gelesen, die die Thematik so grundlegend auffasst. Mir wird erst im Nachgang wirklich bewusst, dass sich in der Dilogie ganz viele Liebesgeschichten befinden, die glücklicherweise die Geschichte nicht ins Romantasygenre kicken. Verrückt. Ein Fingerzeig auf die Zerbrechlichkeit einer Beziehung, den Wert einer Partnerschaft und tatsächlich die Selbstliebe nicht außer Acht zu lassen.
Ich glaube nicht, dass ich mich an alles erinnern kann – Eine gewaltige Blume an Handlungen und Themen
Ich habe insgesamt 30 Seiten Notizen als Pdf. Das ist viel. Bei Fantasy in all seiner Brillianz und Möglichkeit ist das jedoch nichts Neues. Und so soll es sein. Ich habe mir unendlich viele Zitate aufgeschrieben. Wörter, die in kurzen Sätzen bildreich Eigenschaften beschreiben ohne kitschig zu wirken. Direkte Ansprachen, die mich überrumpelten und später zu den Personen einfach gehörten. Die Dialoge brachten mich zum Lachen, zum Nachdenken, zum Verzweifeln, zauberten ein Lächeln oder Gänsehaut. Die Sprache ist nicht super-episch, sondern sind das i-Tüpfelchen des Moments. Keine Ahnung, wie Bardugo manche vergleiche oder Metaphern eingefallen sind, aber ohne sie wären diese Bücher nicht das, was sie sind – vielschichtig.
Trotzdem bin ich mir sicher, mich nicht an jedes Detail erinnern zu können. Es sind mehr als 1000 Seiten zusammen, verschiedene Perspektiven, Handlungsstränge, die zu einem größeren Teil noch zusammengeführt werden, diverse Settings. Wir sprechen hier davon, dass ein junger Zar, der lieber als Freibeuter, die Welt umsegeln würde als die politischen Situation Ravkas wieder auf Kurs zu bringen. Und das war der Anfang! Im Endeffekt ist es sein Lebensziel die Geschicke in die richtige Richtung zu lenken, gegen korrupte Gegner zu spielen und sich der Verantwortung zu stellen. Und das ist nur sein Part. Ich begegnete alten und neuen Feinden. Mich verfolgten Götter, Monster, technische Errungenschaften, altbackene, grausame Foltermethoden und ein aufziehender Krieg. Der Gegenpol waren prunkvolle Festessen, Bälle und Veranstaltungen. In allem steckten umfangreiche Pläne und Ideen, die sich mir nicht gleich zu Beginn erschlossen, denn das sollten sie nicht. Ich sollte überrascht werden, dem möglichen Ziel entgegenfiebern, um manchmal etwas ganz anderes zu bekommen. Der Weg zu jedem kleinen Abzweig war mir öfter zu lang, es las sich gut, aber nicht in einem Schwung. Leigh Bardugo schaffte erneut einen großen Umfang, nur nicht so temporeich wie mit unseren illegalen Krähen. In Ravka, Fjerda und Shu Han wird Macht einfach anders ausgespielt. Das ist reine Geschmackssache, viel größer und endet bedingt nicht auf dem selben Nenner wie bei einem sechsköpfigen Team.
Das Ende lässt Raum für Spekulationen
Puuuh. Das Ende war gefühlt harmlos. Ich hatte so dieses „war ja klar“- Gefühl. Ein Stein wurde am Ende auf den Nächsten gesetzt. Es hätte nicht anders enden dürfen. Sandra und mir ging irgendwann die Luft aus, weil alle Stricke, die ineinandergedreht, wieder gelöst wurden. Eine Erkenntnis setzt sich bei mir dabei fest: Es ist nicht Nikolais, sondern Zoyas Geschichte. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt, sie setzt den Abschluss. Ich will sie nicht Heldin nennen, doch ihre Metamorphose bzw. die Wandlung des Bildes, das ich von ihr hatte, stand im Mittelpunkt. Wie das geschieht, müsst ihr selbst herausfinden. Und dann gab es noch diese paar Zeilen, die Spekulationen auf neuen Lesestoff bieten.
4 von 5 Pfoten
Liebe Grüße Tina (& Leo)
Liebe Tina,
erst einmal vielen Dank für deine ausführliche Rezension. Ich bin ja auch erst dieses Jahr in das Grisha-Verse eingetaucht und habe natürlich fälschlicherweise mit der Krähen-Reihe begonnen. Das ging auch, wäre natürlich aber besser gewesen, vorher die Trilogie zu kennen, da die Welt, wie du schon geschrieben hast, wirklich komplex ist. Deshalb bin ich auch umso dankbarer für deinen Hinweis, King of Scars auf keinen Fall zu lesen, ohne vorher die anderen beiden Reihen zu kennen.
Liebe Grüße
Sarah
Liebe Sarah,
gern geschehen. Ich denke, da wird auch noch mehr kommen. Leigh Bardugo ist mit dem Grishaverse noch nicht fertig 🙂
Viele Grüße
Tina